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rbb – Konzerthaus Berlin: Freiburger Barockorchester und Philippe Jaroussky

2015-12-11, rbb, by Andreas Göbel

Fr 11.12.2015

Bühne

Konzerthaus Berlin: Freiburger Barockorchester und Philippe Jaroussky

Ein ungewöhnliches Debüt: Der Countertenor Philippe Jaroussky, derzeit Artist in Residence am Konzerthaus Berlin, singt zum ersten Mal in deutscher Sprache – und wählt dafür gleich einige der schwersten Barockkantaten. Ein Anfang ist gemacht, aber man spürt noch die Anstrengung.

Bewertung: annehmbar

Philippe Jaroussky hat gerade in Berlin unzählige Fans, ebenso wie das Freiburger Barockorchester. Das Ergebnis: Der Große Saal des Konzerthauses war nicht nur bis auf den letzten Platz gefüllt, sondern man musste auch noch den Mittelgang im Parkett mit Stühlen zustellen.

Das ist insofern bemerkenswert, als man sich kein unpassenderes Programm für diese Jahreszeit hätte ausdenken können. Während vor dem Konzerthaus auf dem Gendarmenmarkt ein riesiger Weihnachtsmarkt mehr als gut besucht ist, singt Jaroussky Passionskantaten und Kantaten, in denen es überall um den Tod geht – mit Sätzen wie “Ich freue mich auf meinen Tod” – oder “Mich ekelt mehr zu leben”.

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Philippe Jaroussky © Carsten Kampf

Die Untiefen der barocken deutschen Sprache

Die deutsche Aussprache hat Philippe Jaroussky insgesamt gut gemeistert. Nur bei gemeinen Konsonantenhäufungen oder schnellem singen, war es noch etwas unscharf, aber insgesamt war seine Diktion von erstaunlicher Klarheit.

Man darf ja nicht vergessen: Das barocke Deutsch klingt aus heutiger Sicht ein wenig verschwurbelt. Wer sagt heute noch: “Die Unschuld wird erwürget von den Sündern”?! Und das alles muss Jaroussky nicht nur sprechen, sondern auch noch verständlich singen. Klar: Man merkt noch die Anstrengung, aber ein guter Anfang ist gemacht.

Wenig Koloraturen

Stilistisch muss sich Philippe Jaroussky noch mehr an dieses für ihn neue Repertoire gewöhnen. Er ist ein Sänger, der sein Herz auf seinen Stimmbändern trägt, der brilliert, wenn er den Affekt jeder Arie auskostet. Bei den barocken Kantaten von Bach und Telemann ist das nicht immer so ganz einfach. Da geht es zwar eindeutig um Themen wie Trauer, Tod, Schuld oder Sehnsucht nach Erlösung, aber es gibt dort viel mehr Zwischenstufen.

Dass man hier mit stimmlicher Akrobatik nicht weiterkommt, weiß Jaroussky, aber das alles ist für ihn noch zu neu. Er muss noch zu sehr nachdenken und alles zusammensetzen. Da sind oft die Koloraturen verwischt, der Ansatz wirkt verkrampft. Vergleicht man das etwa mit dem in diesem Bereich erfahrenen Andreas Scholl, hört man dort eine viel größere Geschmeidigkeit und natürlich Intensität. Vielleicht war es auch nicht geschickt, dass sich Jaroussky gleich zwei der schwersten Solokantaten von Bach ausgesucht hat.

Nicht mehr von dieser Welt

Dennoch hat Philippe Jaroussky bewiesen, dass er im Ansatz auf dem richtigen Weg ist. In einer der Telemann-Kantaten wird der Solist gewissermaßen zum Pfarrer, der seiner Gemeinde die Leviten liest und ihr vorhält, dass Jesus nur deswegen leider und sterben musste, weil alle so viele Sünden begehen. Hier bekommt die Darstellung Charakter.

Und in einer der schönsten Bach-Arien, „Schlummert ein, ihr matten Augen“, findet der Countertenor zu einem Pianissimo, das schon nicht mehr von dieser Welt ist und den Grundcharakter dieser Musik auf wundersame Weise einfängt.

Die Oboe als Sängerin

Das Freiburger Barockorchester hat mit diesem Repertoire sehr viel mehr Erfahrung und spielt seine Routine aus, aber auch die Musiker sind etwas vorsichtig, und das ist mehr als verständlich: Wenn man merkt, dass der Solist noch etwas unsicher ist, hält man sich ebenfalls zurück, und Philippe Jaroussky kann glücklich sein, mit welcher Umsichtigkeit er hier begleitet wurde.

Zu den unbestreitbaren Höhepunkten des Abends gehörten aber die Oboenpartien. Die Solo-Oboe ist in der ersten Arie der Bach-Kantate „Ich habe genug“ gleichberechtigte Partnerin der Singstimme, und das hat die Solooboistin des Freiburger Barockorchesters mit einer zu Herzen gehenden Intensität unter Beweis gestellt. Nicht nur hier wurde wieder einmal deutlich, welch wunderbare Solisten das Ensemble in seinen Reihen hat.

Kurz: Das Projekt hat durchaus Potenzial, aber man hat gemeinsam noch einen ziemlichen Weg vor sich.

Andreas Göbel, kulturradio

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