2016-03-15 featured press

Deutschlandradio Kultur – Nôh-Theater in Amsterdam: Peter Sellars inszeniert “Only the sound remains”

2016-03-15, Deutschlandradio Kultur, by Frieder Reininghaus

Transcript

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Die finnische Komponistin Kaija Saariaho hat einmal berichtet, wie sie in jungen Jahren zu Werke gegangen ist:

“Ich habe ein Stück zweimal komponiert. Zunächst notierte ich es als eine von mir erdachte Konstruktion, dann begann ich noch einmal von vorne und ging sehr viel intuitiver vor.”

Kaija Saariaho, die finnische Künstlerin, lebt in Paris, hat mit ihren klang-sinnlichen Werken ziemlich viel Erfolg, auch mit ihren Opern wie etwa L’Amour de loin. Das Stück wurde 2000 bei den Salzburger Festspielen uraufgeführt. Es ist nicht ihre erste und einzige Oper geblieben.

Für manche Kritiker ist die Musik allerdings zu glatt, zu schön, zu sinnlich, von einem Stück Konfektionsware neuer Musik sprach sogar mal der Berliner Tagesspiegel und er fügte hinzu, es sei Sakro-Kitsch.

Jetzt hat Kaija Saariaho eine neue Oper komponiert, “Only The Sound Remains.”
~ audio ~

An der Oper in Amsterdam wurde das Stück am Abend uraufgeführt, inszeniert hat der Regie-Altstar Peter Sellars. Kritisch die Ohren gespitzt und vielleicht auch die Stirn in Falten gelegt hat unser Kritiker Frieder Reininghaus, der jetzt live aus Amsterdam zugeschaltet ist. Herr Reininghaus, schönen guten Abend!

Guten Abend!

Konstruktion oder Intuition, wovon hat sich denn Kaija Saariaho diesmal besonders treiben lassen?

Ich glaube, sie steht längst – anders als bei ihren allerersten Werken aus den 80er Jahren – tatsächlich auf der Seite der Intuition. Sie hat ein ausgesprochen sensibles Klangkunstgewerbe hier vorgeführt, mit einer stark spirituellen Tönung. Und das gefällt einem großen Teil des Publikums. Die ganze Veranstaltung ist ja eingebettet in ein neues Opernfestival “Forward Festival” für Oper, und da werden noch mehr solche spirituellen Werke zum Vorschein kommen, als nächstes zum Beispiel eins von Michel van der Aa.

Hab’ ich Sie da richtig verstanden, Herr Reininghaus, Sie haben vom Klangkunstgewerbe gesprochen?

Ja.

Dann müssen Sie das ein bisschen erklären.

Ja, also es ist eine Komponistin, die sehr genau Bescheid weiß über die Behandlung der einzelnen Instrumente. Sie hatte bei dieser Oper nicht viele – es sind nur sieben. Ein Streichquartett, eine Flöte, ein Schlagzeug und eine Kantele, das ist ein Instrument der finnischen Volksmusik, und diese sieben Instrumente – dieses Septett – wird mit einer sehr aufwendigen Live-Elektronik in den Raum hinausprojeziert, verlängert. Es gibt wunderbare Klangkaskaden, es gibt Cyrrus-Wölkchen des Klangs, und da sowohl die Stimmen auf der Bühne – es sind nur zwei – als auch diese sieben Instrumente in dieser Weise aufbereitet werden, entsteht natürlich ein sehr, sehr sinnliches, angenehmes Musikband in sehr sehr ruhigen Tempi. Den ersten Teil über gibt es überhaupt nur Adagio, Largo, Andante tranquillo vielleicht mal als einen ganz leise sich andeutenden Erregungszustand, im zweiten Teil dann ein paarmal kurzfristig vielleicht so etwas wie Alegretto animato. Es ist also Stimmungsmusik, sehr kundig gemacht, aber eben mit dem Pferdefuß für die einen, und ich würde nicht gleich mit dem Kitsch-Verdikt kommen, mit dem Pferdefuß, dass es eben Stimmungsmusik ist, völlig anti-rational das Ganze, und ja … von Stimmung getragen, … [für] die anderen dann, die dem groß applaudieren.

Herr Reininghaus, wir sollten jetzt natürlich auf den Inhalt zu sprechen kommen. Sie haben von diesen beiden Stimmen gesprochen. Wovon künden denn diese Stimmen?

Das ist sehr schnell erzählt. Es sind zwei Kurzgeschichten von Ezra Pound nach mittelalterlichen japanischen Vorlagen ins Deutsche gebracht [editor’s note: The original is an English translation I believe.] Es gibt zwei Personen jeweils in jeweils gleicher Stimmlage, einen Bass-Bariton – im ersten Teil ist er ein Priester, im zweiten Teil ein Fischer – und jedes mal einen Counter dazu. Und das ist natürlich die eigentliche Bank-Produktion. Im ersten Teil geht’s drum, dass ein Gespiele des Japanischen Kaisers in der Schlacht zu Tode kam und nun wird eine Trauerzeremonie veranstaltet und bei der erscheint zumindest die Stimme dieses Gefallenen. Und eine großartige, eine Geisterstimme, eine Engelstimme in lichten Höhen, und im zweiten Teil ist es die Begegnung vom Fischer mit einem Engel, der sein Federkleid verloren hat und der es wieder zurück haben möchte und der Engel singt natürlich genauso “englisch” schön wie Philippe Jaroussky das eben kann.

Peter Sellars, der Regisseur, er hat die Komponistin Saariaho einst davon überzeugt, überhaupt Opern zu komponieren; er hat glaube ich alle ihre Opern inszeniert – welchen Anteil hat er denn jetzt an dieser Produktion, die Sie in Amsterdam erlebt haben?

Er ist glaube ich inzwischen in jeder Hinsicht ein schlichtes Gemüt geworden, auch […] religiös, irgendwelche Sekten-Hintergründe sind da am Wirken, und er hat es ganz schlicht vor so einem Gemälde aus dem Geist des abstrakten Expressionismus inszeniert, der Priester macht eben Bewegungen, weil man sich klassischerweise vorstellt, dass im Mittelalter ein Priester Bewegungen gemacht hat, und der Fischer, der steht immer rum und singt und dazwischen tritt dann einmal der Engel und das anderemal der Geist – also da passiert gar nichts, aber das muss ja auch nicht sein, weil der Gesang ist so schön und die Stimmung ist so schön.

Ihren verstandesklaren Kopf hat das Stück also nicht überzeugt, habe ich Sie da richtig verstanden, Herr Reininghaus?

Ich will da gar nicht von mir ausgehen. Ich habe vor ein paar Jahren im Zug nen Text gelesen vom Erzbischof Zollitsch aus Freiburg. Der hat die Verwandtschaften von Theater und Kirche, von Theater und Religion beschrieben und sagt da gibt’s viele Übereinstimmungen. Aber er plädiert dafür, dass das Theater im Theater bleibt und die Kirche in der Kirche, und dass die Kirche nicht Ersatztheater wird, und das Theater nicht Ersatzkirche oder Ersatzreligion wird und obwohl ich kein Katholik bin finde ich das eine sehr kluge Anmerkung von Zollitsch. Ein Hoch auf diesen klugen Mann.
Only The Sound Remains von Kaija Saariaho an der Oper in Amsterdam inszeniert von Peter Sellars. Die nächste Aufführung ist am Samstag, live aus Amsterdam war das Frieder Reininghaus. Herr Reininghaus, dankeschön!
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